Feen und Fées

Man nennt sie auch Kleine Menschen, Grüne Knaben, Gutes Volk und Die Würdevollen und was der schönen Ausdrücke mehr sind. Sie sind eine internationale Gesellschaft von unsterblichen Wesen, die ursprünglich aus Italien kamen, wo sie Fatae heißen. Als die Römer ihre Kultur auch anderen Ländern brachten, wanderten die Fatae mit den römischen Aussiedlern mit und ließen sich in den gleichen Gebieten nieder wie diese. In Frankreich wurde aus Fatae die Kurzform fée. Als die Römer nach Britannien eindrangen, wurden sie auch dorthin von den fées begleitet. Sie behielten dort über einige Jahrhunderte diesen französischen Namen, doch dann wurde er in fay anglisiert, wobei die Landleute fairy sagen.

Die Aufgabe der ersten Feen, der Fatae, war es, sofort nach der Geburt eines Kindes in einem Haus zu erscheinen und dem Kind die verschiedensten Geschenke zu bringen. Behandelten die Verwandten des Neugeborenen die Fatae mit dem gebührenden Anstand und Takt, bestanden die Geschenke in Schönheit, Besonnenheit und liebenswürdiger Freundlichkeit. Wurde jedoch auch nur eine der Fatae beleidigt, glich diese die versprochenen Wohltaten aus durch irgendwelche Tabus oder Verbote, die das Kind ein Leben lang beeinflußten. Im Extremfall bestrafte eine gedemütigte Fata die erwachsenen Familienmitglieder sogar mit Kahlköpfigkeit, Taubheit, Rheumatismus oder anderen körperlichen Gebrechen.

Eine Fee, egal ob männlichen oder weiblichen Geschlechts, nimmt für gewöhnlich die Gestalt eines Menschen an. Wer Feen schon einmal gesehen hat, beschreibt sie wie folgt: »Sie reichen einem kleinen Mann bis ans Knie«, oder: »Sie überragen nicht den Kopf eines Hundes«. Sie können sich aber ganz nach Wunsch kleiner oder größer machen. Sie können bis zur Größe einer Eichel schrumpfen oder die Statur eines erwachsenen Menschen erreichen.

Entgegen dem Volksglauben sind Feen nicht absolut unsichtbar. Nur Menschen können sie nicht sehen, Vögel, Pferde, Hunde, Rinder und alle anderen Tiere hingegen sogar sehr deutlich. Menschen können sie nur zwischen zwei Lidschlägen entdecken und haben dadurch nur einen äußerst flüchtigen Eindruck vom Feenvolk. Doch es gibt einige Ausnahmen von dieser allgemeinen Regel. Die eine besteht darin, daß die Feen selbst ihre Zauberkraft (»Zauberglanz« genannt) anwenden und es einem Sterblichen damit ermöglichen, eine ganze Gruppe von Feen oder ein einzelnes Feenwesen zu erkennen. Die andere Ausnahme hängt von der Jahreszeit oder den Mondphasen ab. So kann man die Feen zum Beispiel wählend des Vollmonds am Vorabend der Mittsommernacht entdecken. Dann kann ein Sterblicher die Feen beim Tanzen oder anderen Festlichkeiten sehen, doch wenn er ihnen zu nahe kommt, wird er von ihnen mit der Mondsüchtigkeit bestraft. Die dritte Möglichkeit, Feen zu sehen, bietet ein Stein mit einem Loch drin. Das Loch muß selbst in den Stein geraten sein, beim Übereinanderpurzeln in einem Bach. (Ein Lochstein, den man an der Meeresküste findet, ist nicht dafür geeignet.) Hält sich ein Sterblicher den Stein so ans Auge, daß er durch das Loch hindurchsehen kann, wird er ganz deutlich Feen erkennen können.

Es gibt zwei verschiedene Arten der Feenfamilie: die Gruppenfeen und die Einzelfeen. Die ersten leben in Gruppen oder fatara, während die anderen immer allein leben. Gruppenfeen tragen eine grüne Tracht, der sie manchmal eine rote, mit einer weißen Feder verzierten Kappe hinzufügen. Die Einzelfeen sind immer ganz in Rot gekleidet.

Die Gruppenfeen leben im Innern ausgehöhlter Hügel oder in den großen Erdwällen, den sogenannten Grabhügeln oder Tumuli, die vorgeschichtliche Volksstämme entweder als Festungswälle errichtet haben oder als Grabstellen für ihre verstorbenen Häuptlinge. Die Sterblichen sollten diese Orte auf jeden Fall nach Einbruch der Dunkelheit meiden, und ganz besonders während des Vollmonds.

Die Vermutung, daß es irgendwo einen eigenen Lebensraum für die Feen, das sogenannte Feenland, gibt, trifft nicht zu. Feen leben mit uns in unserer eigenen Welt, die selbst ein Feenland sein kann für alle, die für ihre zauberhafte Schönheit Augen haben.

Die Feengesellschaft ist nach dem gleichen Muster aufgebaut wie die Gesellschaft Sterblicher, ist aber meistens ein Matriarchat. Jede Gemeinschaft von Gruppenfeen wird von einer Feenkönigin regiert. Es gibt auch einen König, doch er ist nicht mehr als der Feengemahl und hat längst nicht dieselbe Macht wie die Königin. Das gesamte Feengeschlecht wird regiert von der Königin Titanja und Prinz Oberon, deren Hof irgendwo in der Nähe des englischen Orts Stratford-on-Avon liegt. Die beiden herrschen mit leichter Hand und überlassen die meiste Arbeit den Königinnen der verschiedenen Gruppen. Titania ist eine äußerst moralische Person, im Gegensatz zu Oberon, der ein glühender Liebhaber von Feenmädchen wie von Mädchen aus dem Reich der Sterblichen ist.

Die Feenköniginnen sind genauso wie die Leute ihres Hofstaates sehr modebewußt und kleiden sich in Stoffe, die aus der feinsten Spinnenseide gewebt und mit glitzernden Tautropfen verziert sind. Diese Kleidung hat etwas Besonderes an sich: Sie kann von keiner menschlichen Hand gefühlt oder berührt werden, sollte eine Königin je vor einem Sterblichen erscheinen.

In jeder Gemeinschaft der Gruppenfeen leben viele Handwerker, die alle erforderlichen Kunsterzeugnisse herstellen und sie auf regelmäßig stattfindenden Feenmärkten verkaufen. Die Einzelfeen besuchen diese Märkte und verkaufen Sachen wie die Spinnenseide, die sie in der Zwischenzeit gesammelt haben, oder Schuhe und andere Gegenstände, die sie in ihren einsamen Schlupfwinkeln anfertigen. Bezahlt wird mit Feengold, das sich in den Händen von Sterblichen in nichts auflöst.

Die Königinnen halten in ihren Gruppen eine strenge Disziplin. Im übrigen verfügen sie über große Zauberkräfte. Muß eine Königin eine aufsässige Fee bestrafen, vertreibt sie ihn oder sie ins Exil. Der/die Vertriebene darf erst zurückkehren, wenn bestimmte Aufgaben erfüllt sind. Die Königinnen sind launenhafte Damen, und so können diese Aufgaben entweder darin bestehen, den Menschen etwas Gutes zu tun, oder ganz im Gegenteil Unheil anzurichten. So muß eine Fee beispielsweise entweder dafür sorgen, daß die Kühe eines Bauern immer gute sahnige Milch liefern, oder daß die Kirchenglocken an einem Sonntagmorgen aufhören zu schlagen.

Es kommt vor, daß eine Fee den Auftrag nicht ausführen kann, entweder weil er oder sie Mitleid mit einem Sterblichen hat oder über nicht genügend Zauberkräfte verfügt. In solchen Fällen wird aus einem Feenmann meistens eine Einzelfee, eine Feenfrau hat dagegen einen anderen Weg, sich aus der mißlichen Lage zu befreien. Sie stellt sich deutlich sichtbar in menschlicher Gestalt auf den Weg irgendeines unglücklichen sterblichen Mannes. Dieser verliebt sich augenblicklich in das hübsche Feenmädchen, und so wird sie seine Frau und hat eine neue Heimat.

Solche Ehen enden immer tragisch. Eine Feenfrau ist eine miserable Hausfrau und eine höchst anspruchsvolle Geliebte. Sie sehnt sich nach dem freien Leben in der Feengruppe zurück und haßt es, ihren Ehemann zum Gottesdienst in die Kirche zu begleiten, denn Feen können keine Christen sein. Sie können nur ihre alten Religionen verehren. Bringt so eine Feenfrau ein Kind zur Welt, läuft sie damit sofort davon, bevor es getauft werden kann. Sie kehrt in ihre Feenheimat zurück, wo ihr die Königin vergibt, denn die Ehe mit einem sterblichen Mann ist Strafe genug. Das Kind wird als Fee aufgezogen.

Häufig heißt es, Feen seien schwächliche und kraftlose Geschöpfe. Doch das stimmt nicht unbedingt, denn die Feenmännchen sind heldenhafte Krieger, die ihre Lebensräume tapfer gegen Eindringlinge wie Kobolde, Elfen und andere Wesen aus dem Erduntergrund verteidigen. Ein Bataillon mit Schwertern und Lanzen bewaffneter Feensoldaten ist eine Herausforderung für Kobolde jeglicher Zahl.

Feen sind keine guten Köche und Bäcker, und so klauen sie einer sterblichen Hausfrau schnell mal einen gerade fertig gewordenen Keks. Damit sie nicht zuviel wegnehmen, sollte man das Brot oder den Kuchen mit einem Kreuz markieren.

Das Wohlwollen der Feen kann leider ebenso lästig sein wie ihre kleinen Bösartigkeiten. So weiß man aus wohlunterrichteter Quelle von einem Fall, da eine Feengruppe beschloß, einem ihnen freundlich gesonnenen Bauern bei seiner Weizeneinte zu helfen. Der staunte nicht schlecht, als er sah, daß seine ganze Ernte über Nacht geschnitten und in den Speicher gebracht worden war. Doch in den folgenden Nächten schnitten die Feen auch das gesamte Getreide aller Nachbarn des Bauern und brachten es in seine Scheunen. Da mußte er ganz schön reden, um seine Unschuld bei dieser Bezeugung von Feengroßzügigkeit zu beweisen.

Das Verhalten der Feen gegenüber den Menschen reicht von gefährlichem Unheil bis hin zum ernsthaften Verlangen, ihnen zu gefallen und zu helfen. Letzteres zeigt sich, wenn Feen sich selbst als Mini-Frauen mit hauchdünnen Flügeln und einem Zauberstab in der Hand darstellen, nur um der menschlichen Vorstellung von Feen gerecht zu werden. In Wirklichkeit brauchen sie gar keine Flügel, denn sie haben die Gabe der Levitation und können sich damit waagrecht wie senkrecht bewegen. Und Zauberstäbe brauchen sie auch nicht.

Die Bosheit der Feen entwickelt sich meistens durch mangelndes Verständnis. Sie sind so anmutig, empfindsam und taktvoll, daß sie die Schwerfälligkeit und Dummheit der Menschen nicht verstehen können. Alle anderen Tiere achten sorgfältig darauf, die Feen nicht zu stören. Nur die Sterblichen latschen über einen Feenmarkt, ohne ihn überhaupt zu sehen, oder trampeln geräuschvoll über einen Hügel, in dem eine Gemeinschaft von Gruppenfeen wohnt. Die Feen meinen, daß die Menschen eigentlich sensibel genug sein müßten, um zu merken, wann sie sie in dieser Weise beleidigen, und strafen sie entsprechend. Solche Bestrafungen reichen von schlechten Träumen bis hin zu bösen Flüchen, etwa daß ein Mensch seinen Geschmackssinn verliert. Auch so spitzfindige Dinge gehören dazu wie das Feengold. Bei dieser Bauernfängerei war schon so mancher Mann davon überzeugt, daß er weiß, wo ein Schatz vergraben liegt. Er folgt einem Waldpfad, bis er das Gold im Mondenschein glänzen sieht. Dann schaufelt er es in einen Sack und ist ganz sicher, daß er nun reich sei. Doch schon auf dem Heimweg wird der Sack immer leichter, und wenn er ihn zu Hause öffnet, befindet sich nichts weiter drin als herabgefallenes Laub.

Feen klatschen viel über die Liebesgeschichten der Menschen und können sich manchmal nicht zurückhalten, sich einzumischen. Stimmen sie der Verbindung zu, so helfen sie dem glücklichen Paar, wo sie nur können. Doch sind sie der Meinung, daß der Bursche und das Mädchen nicht zusammenpassen, unternehmen sie alles, um sie wieder auseinanderzubringen. Besonders wütend werden sie, wenn Liebhaber treulos werden. Dann bestrafen sie die Männer mit Kahlheit und die Frauen mit Zahnlosigkeit. Die Neugier der Feen führt häufig zu Mißverständnissen. Mit besonderer Vorliebe inspizieren sie menschliche Kunsterzeugnisse und nehmen so manches davon auch einmal mit, um darüber mit den anderen aus der Gruppe zu reden. Normalerweise bringen sie die Sachen wieder zurück, stellen sie dann aber nicht unbedingt an den gleichen Platz, wo sie sie gefunden haben. Wenn nun ein Mensch einen verstellten Gegenstand sucht, sollte er niemals eine Bemerkung machen wie die folgende: »Die verdammten Feen waren hier und sind mit meiner Heugabel durchgebrannt!« Damit würde er die Feen sehr beleidigen. Am gemeinsten verhalten sich die Feen Den Menschen gegenüber vermutlich, wenn sie hübsche Babys rauben und statt dessen Wechselbälger in die Wiege legen. Man weiß bis heute nicht, warum sie das tun. Vielleicht können sie einfach nicht widerstehen, wenn sie ein hübsches Kind sehen, und möchten es gern für sich haben. Es kann aber auch sein, daß sie Menschen brauchen, die sie unter ständiger Verzauberung großziehen, damit sie ihnen bei so schweren Arbeiten wie dem Mahlen des Korns zu Mehl oder beim Brotbacken helfen. Eine dritte Möglichkeit wäre, daß sie dem Teufel Geiseln geben müssen, damit er ihnen nichts tut.

Feen mischen sich liebend gern in die Feste der Sterblichen ein und nehmen dann menschliche Gestalt an. Sie sind dann so eitel, daß sie meistens als hübsche blonde junge Männer oder wunderschöne blonde junge Mädchen erscheinen, doch verraten sie sich manchmal, da sie mit den menschlichen Gewohnheiten nicht so vertraut sind. Bemerkt sie ein Sterblicher dann, ist es ratsam, darüber still hinwegzusehen. Andernfalls würden die Feen unweigerlich Rache nehmen. Einen taktvollen Sterblichen, der ein Fehlverhalten der Feen einfach ignoriert, würden sie hingegen belohnen.

Feen haben überhaupt keine Schwierigkeiten, mit den Sterblichen zu kommunizieren. Sie sprechen ihre eigene Sprache, die wie eine Mischung aus dem Tschilpen der Amseln, dem Murmeln eines Bachs und dem Säuseln einer leichten Brise in den Bäumen klingt, aber sie können auch die Sprache eines Gastlandes sprechen und verstehen, ja sogar die Sprache, die in dieser Gegend früher gesprochen wurde, etwa Latein, Keltisch, Gälisch, Teutonisch, Piktisch oder Schottisch.

Der Glaube an »gute Feen« und »schlechte Feen« ist irreführend. Denn Feen sind in Wirklichkeit weder gut noch schlecht. Wie die Menschen haben sie Stimmungs- und Temperamentsschwankungen, sind im allgemeinen aber heitere und fröhliche Wesen, die nichts anderes wollen, als in Ruhe gelassen zu werden, damit sie ihren in vielen Jahrhunderten gebildeten Lebensstil beibehalten und die Aufgaben erfüllen können, die sie schon bei der Erschaffung des Kosmos auf sich genommen haben.

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