Drachenblut

Daemonoropos draco BLUME (syn. Calamus draco WILLD.), Sumatra-Drachenblut

»Wie Feuer brennt das Blut! Ist mir doch fast, als sprächen die Vöglein zu mir! Nützte mir das des Blutes Genuss?«
RICHARD WAGNER, Siegfried (2. Akt)

Bei »Drachenblut« denkt man sofort an die germanische Mythologie um den Drachentöter Siegfried oder Sigurd. Als der angstfreie Held den schätzehütenden Drachen Fafner erlegt hatte, badete er in dessen heraussprudelndem Blut. Das Drachenblut verlieh ihm die berühmte Unverwundbarkeit und machte ihn zu einem Übermenschen. Als die Europäer der frühen Neuzeit, also nur wenige Jahrhunderte nach der mythohistorischen Begebenheit, mit den exotischen Drachenblutbäumen in Berührung kamen, hielten sie den besonderen Saft, der aus den Wunden des Stammes hervorquoll und von den Blüten tropfte, für ebenso magisch und zauberkräftig wie das Drachenblut aus der heimischenSage. Die botanische Identität des sagenumwobenen Drachenblutbaumes war lange Zeit ungeklärt. Heute versteht man darunter verschiedene Arten unterschiedlicher Familien.

Auf den Kanarischen Inseln, den Kapverden und Madeira ist der Kanarische Drachenbaum, dort Drago, »Drache«, genannt, heimisch. Er ist die berühmteste Pflanze des Ferienlandes und eine gern gesehene touristische Attraktion. Manche Bäume gelten als »vieltausendjährig«, sind aber nur über dreihundert Jahre alt. Das »Drachenblut«, das von ihren Früchten ausgeschwitzt wird, gilt auf den Kanaren als eine Medizin von sagenhafter Wirkung. Der nah verwandte Kinnabari-Drachenbaum kommt nur auf der Insel Socotra vor. Von seinem »Blut« weiss schon Dioskurides zu berichten: »Es [das Kinnabari] gibt aber auch eine stark tiefdunkle Farbe, deshalb glauben einige, es sei Drachenblut« (V, 109). Arrian nennt dieses Drachenblut indischen Zinnober; es werde »auf der Insel des Dioskurides [= Socotra] von Bäumen, aus denen er tröpfele, gesammelt« (Periplus 18). Plinius nennt das Drachenblut als einen Hauptbestandteil einer kostbaren und medizinisch wirkungsvollen Rosensalbe (XIII, 2, 9). In der frühen Neuzeit wurde es als »rot wie Menschenblut« (LONICERUS 1679:740) beschrieben. Es wurde ähnlich wie Gummi Arabicum verwendet, oft mit diesem vermischt als Grundlage von Räuchermischungen benutzt. Früher glaubte man, dass das Drachenblut tatsächlich Blut sei und »durch die Schwere der sterbenden, von Elefanten zerdrückten Drachen« stamme.

Die asiatische Drachenblutpalme ist ein tropisches Gewächs, das in Afrika, Asien und Australien vorkommt. Das von den Blüten und Früchten abgesonderte Drachenblut ist im Handel auch unter den Namen Rotangharz, Palmdrachenblut oder Indisches Zinnober bekannt. Es wird heute nur noch selten nach Europa gebracht und ist meist nur schwer erhältlich. Im modernen Okkultismus wird es dem Planten Mars zugeordnet undals Zutat für Liebesräucherungen angeführt.

Im tropischen Mittelamerika gibt es ein bis zu zwanzig Metern hohes Wolfsmilchgewächs (Croton sp.), das ebenfalls Sangre de drago, »Drachenblut«, oder eben Drachblutbaum genannt wird. Es enthält einen roten Milchsaft, der bei Verletzungen der Rinde wie Blut herausfliesst. Dem in Guatemala lebenden Hochlandmayavolk der Quiche ist dieser Baum heilig, denn er spielt in ihrer mythischen Schöpfungsgeschichte, dem Popol Vuh, eine wichtige Rolle. Von der Entdeckung seines Saftes heisst es:

»Roter Saft rann aus dem Baum, fiel in die Schale. Zu etwas Rundem wurde er, wie ein Herz geformt. Saft wie Blut rann heraus, wie wirkliches Blut. Dann gerann das Blut, der Saft des roten Baumes, und bedeckte sich mit einer glänzenden Kruste, drinnen in der Schale, wie geronnenes Blut. ( ... ) >Rotschaumbaum< hiess er, seither >Blutbaum< genannt, weil sein Saft Blut geheissen wird. ( ... ) Sogleich warfen sie [den Blutsaft] aufs Feuer, und die von Xibalba [der Unterwelt] begannen den Duft zu spüren, und alle erhoben sich und traten näher. Wahrlich, köstlich dünkte ihnen der Geruch des Blutes. « (CORDAN 1962:65)

Der Saft dieses Baumes, der auf Quiche chuh cakche, »Schäumender Feuerbaum«, heisst, diente schon früher als Ersatz für echte Blutopfer. Noch heute verwenden die Quiche den eingedickten, blutroten Latex als rituelles Räuchermittel. Ihre Götter, sie sich so gerne am Blut von geopferten Menschen berauschen, halten den aufsteigenden Rauch für Menschenblut und geben sich damit zufrieden. Die Tzeltal-Indianer benutzen den roten Saft als Heilmittel für Wunden, besonders für Wunden in der Nähe der Augen.

Drachenblut - ganz gleich von welcher Stammpflanze - dient in der Räucherkultur, ähnlich wie Gummi Arabicum, vor allem als Bindemittel für ätherische Öle und frische Harze. Beim Räuchern verflüchtigt es sich schnell mit einem leichten Gummi- und Harzgeruch. Dabei bleibt ein feiner, angenehmer, fast subtiler Duft im Raum zurück.

Das rote Harz (Resina draconis) der asiatischen Drachenblutpalme enthält ein Gemisch verschiedener Ester der Benzoesäure und Benzoylessigsäure sowie Dracoresinotannol, Dracoresen, Dracoalban, Draconin. Es wirkt stark adstringierend und eignet sich deshalb gut zur Behandlung von Durchfallerkrankungen.

Der Croton draco enthält in seinem Latex fettes Öl, Oleum crotonis, Crotonharz und einen roten Farbstoff. Das Crotonöl wirkt, innerlich genommen, drastisch abführend. Das Drachenblut des aus dem peruanischen Amazonasgebiet stammenden Croton lechleri besteht aus Proanthoeyanidinen und enthält das Alkaloid Taspin, das eine aktive Wanderungsbewegung der Zellen bewirkt, sowie die antibiotisch wirkenden Diterpene Korberin A und B. Das peruanische Drachenblut könnte nach dem heutigen Stand der pharmakologischen Forschung zu einem wichtigen Heilmittel bestimmter Krebsarten werden.