Alraune
Mandragora officinarum L. (syn. Atropa mandragora (L.) WOODVILLEI, Mandragora
vernalis BERIOLINI), »männlicher Alraun«
Mandragora autumnalis SPRENG, (syn. Mandragora nu . crocarpa BERTOLINI),
»weiblicheAlraune«
Solanaceae, Nachtschattengewächse
»Feiere einen schönen Tag! ( ... )
Gib Balsam und Wohlgeruch zusammen an deine Nase, Kränze von Lotus [= Seerosenblüten]
und Liebesäpfeln [= Alraunenfrüchte] auf deine Brust, während deine Frau, die in deinem
Herzen ist, bei dir sitzt.«
Altägyptisches Liebeslied (zit. nach SCHOSKE 1990:36)
Die geheimnisvolle Alraune oder Mandragora die »Königin aller Zauberkräuter« - ist
keine Märchenfigur, sondern eine echte Pflanze, die besonders im östlichen
Mittelmeerraum verbreitet ist. Es gibt nur zwei europäische Arten, deren botanische
Identität lange Zeit ungeklärt blieb. Diese Pflanze wurde zu Recht als »berühmteste
Zauberpflanze der Geschichte« bezeichnet. Ihre medizinische und magische Verwendung, ihre
aphrodisischen und psychoaktiven Wirkungen ebenso wie ihre Mythologie und der sie
umgebende Sagenkreis heben sie aus der Fülle der Zauberkräuter heraus. Über die Alraune
sind viele Bücher und zahlreiche Artikel publiziert worden, die alle Aspekte dieser
magischen Pflanze beschreiben. Hier gebe ich nur den Gebrauch als Räucherung wieder.
Im heutigen Israel gehören Alraunen zu den häufigen Pflanzen. Die Wurzeln gelten als Aphrodisiaka und Fruchtbarkeitsamulette. Diese Verwendung der magischen Pflanze geht in die älteste Zeit zurück. Die vermutlich frühesten schriftlichen Erwähnungen der Alraune finden sich in den Keilschrifttafeln der Assyrer und im Alten Testament; sie beziehen sich hauptsächlich auf das Gebiet von Babylon. Im Assyrischen hiess die Alraune Nam-Tar-Gir(a). Dabei war Nam Tar der »Gott der Plagen«, (g)ira bedeutet »männlich«. Die alten Assyrer benutzten die Alraune als Schmerz- und Betäubungsmittel. Sie wurde bei Zahnschmerzen, Geburtskomplikationen, Hämorrhoiden und Magenbeschwerden (die pulverisierte Wurzel in Bier gelöst) verwendet. Man räucherte die Wurzel, um »Gift aus dem Fleisch« zu treiben (Exorzismus).
Im Heiligen Land war die Alraune, die in der Bibel düdä'im heisst, vor allem als Aphrodisiakum und fruchtbarkeitsförderndes Mittel bekannt. Dabei wurde die aphrodisische Qualität in erster Linie dem Duft der reifen goldgelben Früchte zugeschrieben. Anscheinend wurde die Alraune später ein kabbalistisches Geheimmittel. Es soll einige verlorene Bücher des Königs Salomon gegeben haben, die wegen ihres magischen Inhalts von König Hezekiah vernichtet wurden. Diese verlorenen Bücher sollen viele magische Anwendungen der Wurzel baharas oder baara, die wohl mit der Alraune identisch ist, enthalten haben. König Salomon soll unter dem Edelstein in seinem Zauberring ein Stück einer Alraunenwurzel verborgen haben. Ähnliche Zauberringe wurden zur Behandlung Besessener verwendet:
»Er [der Jude Eleazar] hatte unter seinem Kugelringe eine jener Wurzeln, die
schon Salomon bestimmt hatte-, dann hielt er den Ringfinger an die Nase eines Besessenen,
liess ihn an der Wurzel riechen und zog den bösen Geist aus der Nasenöffnung heraus.«
Die ausführlichste Schilderung von dieser magischen Wurzel stammt von Flavius Josephus
(l. Jh. n. Chr.), der auf Griechisch schrieb, um den Griechen die Sitten des Volkes von
Judäa verständlicher zu machen. Möglicherweise erwarb er sein magisches und botanisches
Wissen von den Essenern, unter denen er längere Zeit lebte:
»In dem Tal, das sich an der Nordseite der Stadt (Machairos)l-' hinzieht, ist ein
besonderer Platz mit Namen Baaras, und dort wächst eine Wurzel, die den gleichen Namen
trägt.14 Jeden Abend strahlt sie einen feuerroten Lichtglanz aus: Will aber jemand sich
ihr nahen, um sie auszureissen, so lässt sie sich nur schwer fassen, sie entzieht sich
den Händen und kann nicht früher gebannt werden, als bis man Monatsblut oder Urin auf
sie giesst. Aber auch dann bedeutet eine unmittelbare Berührung mit der Wurzel den
augenblicklichen Tod, es sei denn, man trage sie so in der Hand, dass die Wurzelspitze
nach unten schaut. Allein, man kann sich der Wurzel auch ohne jede Gefahr bemächtigen,
und zwar so: ringsum grabt man die Erde ab, dass nurmehr ein kleines Stück der Wurzel von
der Erde bedeckt bleibt. Dann bindet man einen Hund daran. Wenn nun dieser dem Menschen,
der ihn angebunden hat, wieder folgen will, zieht er natürlich die Wurzel ganz leicht aus
dem Boden. Aber im gleichen Augenblick stirbt er, gleichsam zur Sühne für den, der in
Wahrheit die Pflanze weggenommen hat. Von jetzt an kann man ohne Furcht die Wurzel
angreifen. Der Grund dafür, dass diese Wurzel trotz ihrer Gefährlichkeit so gesucht ist,
liegt in ihrer einzigartigen Wirkung: sie hat nämlich die Kraft, die sogenannten
Dämonen, das sind Geister böser verstorbener Menschen, die in noch lebende hineinfahren
und sie selbst töten, wenn man nicht zu Hilfe kommt, schon durch blosses Annähern an die
Kranken zu vertreiben.«
Bei den Griechen war es verbreitet, die frische oder getrocknete Wurzel in Wein einzulegen
und sie als Liebestrank zu geniessen. Dioskurides überliefert ein komplettes Rezept zur
Herstellung des Mandragorenweines, der ebenfalls zu Räucherungen verwendet wurde:
»Mandragorawein. Zerschneide die Rinde der Wurzel und gib 1/2 Mine [= 8 Unzen], in Leinen
gebunden, in 1 Metretes [= 36,4 Liter] Most drei Monate lang, dann giesse den Wein um. Die
mittlere Gabe ist 1/2 Kotyle [= 5 Unzen]. Er wird getrunken unter Zusatz von doppelt so
viel Most. Man sagt, dass 1 Hemine [= 10 Unzen] davon 1 Chus [= 10 Pfund = 120 Unzen]
zugemischt Schlaf mache und betäube; 1 Becher mit Xestes [= 1 Pfund 8 Unzen] Wein
getrunken tötet. Beim richtigen Gebrauche wirkt er schmerzstillend und die Flüsse
verdichtend. Ob er in der Räucherung, als Klistier oder als Trank angewandt wird, er hat
dieselbe Wirkung.«
Die Alraune galt in der Magie der Renaissance und im neuzeitlichen Okkultismus als
Räucherstoff, der unter dem Einfluss des Mondes steht. Eine Alraunenräucherung kann auch
zur Behandlung von Kopfschmerzen verbrannt werden. Dazu sollten die Alraunenwurzelstücke
mit aromatischen Kräutern wie Beifuss, Minze und Nelken kombiniert werden.
Die Wurzelstücke verbreiten beim Räuchern einen eher unangenehmen Geruch, der an
verbranntes Essen erinnert. Der Rauch ist aber recht gut zu inhalieren. Alraune kann in
der Räucherung gut mit Olibanum kombiniert werden. Die getrockneten Alraunenblätter
können wie Tabak geraucht werden. Beim Räuchern und Rauchen ist die psychoaktive Wirkung
der Alraune nur subtil spürbar.
Die Alraune enthält besonders in der Wurzel (0,3-0,4%), aber auch in den Blättern die
psychoaktiven und anticholinergen Tropanalkaloide Scopolamin, Atropin, Apotropin,
Hyoscyamin, Hyosein, Mandragorin, Cuskhygrin, Solandrin u.a. Das Alkaloidgemisch, das
früher unter dem Namen Mandragorin beschrieben wurde, kann psychedelische oder
hypnotische Zustände auslösen, aber auch erotische Erregung, Raserei, Tanzwut, Delirien,
sogar durch Atemlähmung den Tod bewirken (ROTH et al. 1994). Früher glaubte man, die
wohlduftenden Früchte seien giftig und daher ungeniessbar, der Verzehr ist jedoch
unbedenklich. Sie enthalten nur Spuren von Alkaloiden. Die aromatischen Komponenten des
Duftes der Alraunenfrüchte konnten kürzlich chemisch identifiziert werden. Die
Zusammensetzung ist für einen Duftstoff sehr ungewöhnlich; besonders der hohe Anteil
schwefelhaltiger Chemikalien.
Es gibt kaum eine magische Pflanze, die häufiger verfälscht wurde als die seltene echte
Alraune. Die Wurzelstücke gelangen nur selten in den Apothekenhandel; allerdings ist die
Urtinktur (Mandragora) erhältlich. Möchte man mit dieser Pflanze experimentieren, gräbt
man sie am besten selbst (z.B. auf Zypern, Kreta oder Sizilien).
Früher hielt man die beiden europäischen Alraunenarten für Männchen und Weibchen derselben Spezies. Beim »Männchen« handelt es sich um Mandragora officinarum, die im Frühling blüht und Früchte trägt; beim »Weibchen« um Mandragora autumnalis, die im Herbst blüht und Früchte träut.