Wendigo

Jedermann, der sich allein in die Wildnis wagt, spürt den Geist der einsamen Plätze. Dieser heißt in Nordkanada Wendigo und hat in anderen Gegenden der Erde andere Namen. Die ganze List von Wendigo bestellt darin, daß er weiß, wie er sich fremden Blicken entziehen kann. Beim Wandern ist er ständig hinter dir. Egal wie schnell du dich umdrehst, er wird schneller sein. Trottest du durch Busch- oder Waldland, über Gebirge und durch die Wüste, und hast keine andere Gesellschaft als deine eigenen Gedanken, dann wird dir immer stärker bewußt, daß Wendigo dir folgt. Du wirst gegen die Versuchung, dich umzudrehen, ankämpfen, aber schließlich tust du es doch und siehst nichts. Doch du weißt, daß sich Wendigo wieder dicht an deine Fersen heftet, und du bewegst dich schneller, um ihn zu überraschen. Doch wieder nichts! Vielleicht kannst du eine winzige Regung im Gebüsch entdecken. War es ein Lufthauch, ein Tier oder Wendigo? Du schaust dir alles um dich herum genau an, doch da ist nichts - oder scheinbar nichts.

Wendigo plagt damit so manchen Wanderer. Nach einigen Tagen wird er in seufzenden Flüstertönen mit ihm sprechen. Es sind Wörter, die der Wanderer gar nicht verstehen kann. Manchmal aber klingen sie, als kämen sie von einem Freund, so daß er erstaunt antwortet. Vergebens wird er sich selbst versichern, daß es nur der Wind war. Vielleicht kann er sogar Wendigo kurz erblicken, als einen Schatten, der sich zwischen den Bäumen bewegt, oder als Gräser, die sich unter seinen unsichtbaren Füßen neigen.

Schließlich rennt der Wanderer los und wirft seine Waffen, den Proviant und alles, was seine Flucht behindert von sich. Verzweifelt schluchzend läuft er bis ans Ende seiner Kraft und fällt erschöpft nieder. Und wieder kommt die große Stille der Wildnis. Sie legt sich um den Leichnam. Nur die Baumwipfel schwanken, als wäre ein Windhauch hindurchgegangen. Wendigo ist fort, aber er wird wiederkehren.