Rattenfrau

Die Wanderratte (Rattus norvegicus) ging als blinder Passagier im achten Jahrhundert nach Christus auf die Langschiffe der Wikinger und eroberte mit diesen die Welt. Sie ist wohl die gräßlichste, aber auch die leichtgläubigste aller Ratten. So kann sie in ihrer Heimat Norwegen von den Rattenfrauen unter Kontrolle gehalten werden.

Die Ausbildung einer Rattenfrau beginnt ungefähr während der Pubertät. Sie beinhaltet das Spielen rätselhafter Rattentöne auf einer Dreitonpfeife, die Entdeckung von Rattenkolonien, Körperübungen und das Steuern kleiner Boote. Eine Rattenfrau-Novizin oder Rattenmädchen verbringt eine gewisse Zeit als Lehrling bei einer ausgebildeten Rattenfrau, bis sie selbst für ihre Aufgabe geeignet ist.

Wendet sich eine von Ratten geplagte Gemeinde an eine Rattenfrau, verhandelt sie erst mit ihrer Fee, die im voraus bezahlt werden muß. Dann lokalisiert sie das Nest des ansässigen Rattenoberhaupts, stellt sich in dessen Nähe auf und spielt die traditionellen Rattentöne auf ihrer Pfeife.

Das Rattenoberhaupt reagiert bald auf die mystische Musik und setzt sich der Rattenfrau zu Füßen. Kurz darauf versammelt sich der ganze Rest der Kolonie hinter ihm. Dann muß die Rattenfrau ihre Körperkräfte einsetzen, denn sie muß jetzt die Ratten - während sie immer weiter auf der Flöte spielt - bis zum Meer oder einem anderen großen Gewässer führen, wo ihr Boot liegt. In Norwegen liegen zwar die meisten Wohnstätten in erreichbarer Nähe eines Sees oder Fjords, aber der Weg der Rattenfrau führt trotzdem meistens über Moore und Gebirge, bis sie ihr Boot erreicht hat. Der ganze Ratten-Schwanz läuft, rennt und hoppelt hinter ihr her. Ohne die Geistermusik zu unterbrechen, rudert sie vom Ufer fort. Dies verlangt eine große Geschicklichkeit, denn sie muß mit den Fingern einer Hand die Flöte spielen und mit der anderen Hand rudern.

Die Ratten springen ins Wasser und schwimmen hinter ihr her. Bald säuft die schwächste Ratte ab, und so verschwinden nach und nach alle Tiere des ganzen Rattenvolkes, bis nur noch das Rattenoberhaupt übrig bleibt. Doch auch ihn verlassen irgendwann die Kräfte, und er versinkt im Wasser, wenn der letzte Ton der Flöte über dem einsamen Wasser erklingt.

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